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Unterwegs nach Bethlehem
Eine Reise durch die Weihnachtszeit
von Werner Hoffmann
(von der gleichnamigen CD "Unterwegs nach Bethlehem" (C) Felsenfest Musikverlag, Wesel)

1 Maria
Es war heiß und stickig in dem kleinen, niedrigen Haus, in dessen einzigem Raum es nach einer Mischung aus Rauch, frisch gebackenem Brot und dem Dung von Tieren roch. Maria nahm den heißen Brotfladen, der sich beim Backen wie ein kleiner Kürbis aufgebläht hatte, vom heißen Stein der Feuerstelle und legte ihn zu den anderen, wo er allmählich in sich zusammenfiel. Die offene Feuerstelle befand sich im oberen, etwas höher gelegenen Teil des Hauses, während der darunter liegende als Stall diente. Dieser war tagsüber leer, bis auf ein paar Hühner, die im Stroh scharrten und nach unsichtbaren Körnern pickten. Nachts mussten sich hier allerdings die Ziegen, die beiden Esel und zwei Kühe den Raum mit den anderen Bewohnern teilen. Das war praktisch, vor allem im Winter, wenn die Tiere mit ihren Körpern behagliche Wärme spendeten.
Maria wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie war froh, mit ihrer Arbeit fertig zu sein und nun endlich nach draußen zu können. Wenn ihre Eltern Anna und Jojakim heute Abend von der Feldarbeit zurückkämen, würden sie erfahrungsgemäß sehr hungrig sein. Aber Maria hatte nun für genug Vorrat gesorgt. Sie war sogar ein wenig stolz auf ihr Werk. Es war keineswegs einfach, gute Fladen zu backen. Maria aber hatte das lange mit ihrer Mutter geübt.
Das hübsche junge Mädchen stieg eilig die Stufen zum Stall hinunter. Gackernd flatterten die Hühner auseinander, als sie der Tür zustrebte. Draußen im Hof, der von einer mannshohen Mauer umgeben war, goss sie Wasser in eine Schüssel und wusch sich Hände und Gesicht. Jetzt musste sie nur noch frisches Wasser vom Brunnen holen und danach alles Weitere für das Abendessen vorbereiten. Wasserholen war gemeinhin Frauensache. Doch sie tat es gerne, weil man am Brunnen immer irgendwelche Freundinnen traf. Sie nahm also einen der Krüge, die im Hof aufgereiht an der Wand lehnten, und warf einen kurzen Blick zum Himmel. Der Stand der Sonne zeigte ihr, dass es eigentlich noch etwas früh zum Wasserholen war. Die meisten Frauen gingen erst später zum Brunnen. Aber vielleicht hatte sie ja Glück und würde dennoch schon jemanden antreffen. Maria schloss das Hoftor hinter sich und ging los. Die engen, staubigen Gassen Nazareths wirkten jetzt am Nachmittag ein wenig trostlos und verlassen. Viele Bewohner arbeiteten noch auf den Feldern oder marschierten zu ihren Weiden, um die kleinen, schwarzen Ziegen zu holen. Es war ein wunderschöner Frühsommertag. Maria summte leise vor sich hin. Zu dieser Jahreszeit, wenn alles noch so saftig grün war und blühte, genoss sie den Weg zum Brunnen besonders.
Eine Horde Kinder rannte lärmend um eine Hausecke. Als sie Maria entdeckten, liefen sie ihr entgegen. Bald hatten sie die junge Frau erreicht und umringt, zerrten an ihren Kleidern und zogen an ihren Händen. Maria mochte Kinder und widmete ihnen häufig etwas von ihrer knappen Zeit. „Wann spielst du wieder mit uns?“, schallte es ihr entgegen. „Bitte spiel mit uns, Maria!“ „Jetzt nicht, Kinder“, rief sie lachend, „ihr seht doch, dass ich zum Brunnen muss ...“ „Wie schade!“ tönte es enttäuscht zurück. Ein Stück noch begleiteten sie die munter drauflosschwatzenden Kinder, bevor sie lärmend in eine andere Richtung davonstürmten. Lächelnd schaute Maria ihnen nach. Es war noch nicht lange her, dass sie selbst noch so unbeschwert herumgetollt war. Aber jetzt war sie 14. Da war man als Mädchen längst volljährig und einem Mann versprochen. Auch bei ihr sollte es nicht anders sein.
Bald hatte Maria die letzten Häuser der kleinen Stadt hinter sich gelassen. Ihr Weg führte sie jetzt an Oliven- und Weingärten vorbei. Würzig duftende Lorbeerhecken umgrenzten Gemüsegärten. Auf kleinen Feldern sprossen darin die grünen Spitzen der Zwiebeln aus dem Boden, umsäumt von rankenden Gurken und Kürbispflanzen. Diesen Teil des Weges mochte sie besonders. Vor einem Garten mit Obstbäumen blieb sie nun stehen. Sie konnte sich einfach nicht sattsehen an den purpurroten Blüten eines prächtigen Granatapfelstrauchs. Schon als kleines Mädchen war sie von den glockenförmigen, herrlich duftenden Blüten fasziniert gewesen. Und wenn ihr Vater im Spätherbst mit den ersten leuchtend roten Früchten nach Hause kam und sie das süße Fruchtfleisch mit den weichen Samen kostete, war es für sie stets so, als kehrte der Sommer noch einmal zurück. 613 Kerne soll ein einziger Granatapfel enthalten, hatte sie einmal gehört, genauso viele, wie das Alte Testament Gesetze enthielt. Ob deshalb die Priester kleine in Gold modellierte Granatapfelblüten und -früchte an den Säumen ihrer Gewänder trugen?
Das heisere Krächzen einer hässlichen Krähe, die auf dem Feld gelandet war, erschreckte Maria und riss sie aus ihren Träumen. Wie lange hatte sie hier schon wieder gestanden und ihren Gedanken nachgehangen? Schnell nahm sie ihren Krug vom Boden hoch und ging weiter. Der Weg wurde jetzt schmaler und fiel etwas ab. Rosa blühende Oleanderbüsche und niedriges, knorriges Rosmaringehölz säumten ihn. Noch einmal blieb sie stehen, um für einen Moment dem Gesang einer Nachtigall zu lauschen. Bald würde der Vogel mit der Aufzucht seiner Jungen beschäftig sein und nicht mehr singen. Dann war hier nur noch das eintönige Schnarren der Zikaden zu hören, die den ganzen Sommer über in den Bäumen lärmten.
Als Maria sich der Wasserstelle näherte, sah sie, dass bereits eine andere junge Frau auf dem Brunnenrand saß. Deren Gesicht erhellte kurz darauf ein fröhliches Lächeln, nachdem sie die Ankommende bemerkt hatte. „Maria!“, rief sie aus. Marias Herz machte einen Sprung, denn sie erkannte überrascht ihre alte Freundin Sarah. Sarah war ein Jahr älter als sie. Nach ihrer Heirat war sie in das Dorf ihres Mannes nach Judäa gezogen. Daher sahen sie sich nur noch bei großen Festen oder wenn sie einmal ihre Eltern in Nazareth besuchte. Die letzten Schritte rannte Maria auf den Brunnen zu. Dann standen sich die Freundinnen endlich gegenüber. „Friede sei mit dir“, sagte Maria freudig, „wie schön, dich zu sehen.“ „Ich freue mich auch, Maria.“ Die beiden umarmten sich herzlich. „Wie lange haben wir uns nicht gesehen?“ Sarah hielt ihre Freundin an den Schultern und schaute ihr lachend ins Gesicht. „Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Wie geht es dir, Sarah?“ „Gut“, erwiderte die Freundin, „du siehst gut aus, Maria – ist ja auch kein Wunder bei dem, was man so hört.“ „Was hört man denn so?“ Maria tat ahnungslos, wurde aber ein wenig rot. „Na, was wohl?“ „Du hast es also schon gehört, dass ich mit Josef verlobt bin?“ „Es war das Erste, was mir gestern meine Mutter erzählte.“ „Ach ja, der Josef ... der ist einfach ...“ „Wunderbar“, ergänzte Sarah, und beide lachten. „Weißt du schon, dass wir bald heiraten wollen?“ „Die Spatzen pfeifen es von den Dächern. Ich hab gehört, dass Josef schon an eurem neuen Haus baut.“ „Es wird ein besonders schönes Haus“, schwärmte Maria stolz. „Dein Josef soll ein ausgezeichneter Baumeister sein.“ „Er ist der beste!“, bekräftigte Maria mit geschwellter Brust. Doch plötzlich verdüsterte sich ihre Miene, und entschuldigend erklärte sie: „Ich hab mal wieder getrödelt. Das Abendessen muss fertig sein, wenn meine Eltern vom Feld nach Hause kommen.“ „Du hast dich wohl überhaupt nicht verändert“, stellte Sarah augenzwinkernd fest, „bleibst du immer noch bei jeder Blume am Weg stehen?“ „Nicht bei jeder, aber ...“ „Wo soll das nur hinführen, wenn du mal verheiratet bist?“ „Mein Josef mag Blumen.“ „Auch zum Abendbrot?“, scherzte Sarah und setzte sich auf den Brunnenrand. „Wenn ich damit den Lammbraten dekoriere“, parierte Maria lachend, „aber jetzt muss ich los.“ „Ich bleibe noch und warte auf die anderen. Bestimmt sehen wir uns morgen!“ Maria füllte ihren Krug hastig mit Wasser. „Oh ja, ganz bestimmt“, erwiderte sie begeistert und hob den vollen Wasserkrug auf ihren Kopf. „Ich freu mich“, rief sie noch, schon halb zwischen den Oleanderbüschen verschwunden, die sie mit schnellen Schritten durchmaß.

2 Der Engel
Bald hatte Maria ihr Elternhaus erreicht. Erleichtert stellte sie fest, dass ihre Eltern noch nicht zurück waren. Auf einmal spürte sie, wie müde sie war. Immerhin hatte sie stundenlang in brütender Hitze an der offenen Feuerstelle gearbeitet und obendrein noch den schweren Krug nach Hause geschleppt. Verschwitzt stellte sie ihn im Innenhof ab. Für einen Moment wollte sie noch ausruhen, bevor sie das schwere Gefäß ins Haus bringen würde. Als sie es kurz darauf wieder hochnahm, vernahm sie jedoch ein ungewohntes Geräusch. Was war das? Erschrocken schaute sie sich um. Aber sie konnte nichts entdecken. Plötzlich drang eine ihr unbekannte Stimme an ihr Ohr: „Sei gegrüßt, Maria, du Gesegnete! Der Herr ist mit dir!“ Verwundert blickte sie erneut in die Richtung, aus der die Stimme kam. Vor ihr stand nun ein wildfremder Mann. Vor Schreck ließ sie den Krug los, der zu Boden fiel und scheppernd in unzählige Teile zersprang. Das Wasser spritzte nach allen Seiten. Maria wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Ihr Herz raste wild. Sie wollte weglaufen, war aber unfähig, sich zu bewegen. Sie öffnete den Mund, brachte jedoch keinen Laut über die Lippen. Gelähmt vor Angst stand sie da und starrte den Fremden mit weit aufgerissenen Augen an. Wie war der bloß so unbemerkt hereingekommen? „Du brauchst keine Angst zu haben, Maria“, hörte sie ihn sagen.
Jetzt erst bemerkte Maria, wie freundlich seine Stimme klang, und so beruhigte sie sich ein wenig. Schließlich machte die Angst mehr und mehr der Neugier Platz. Wie sah dieser Fremde aus? Er war mit einem hellen Gewand bekleidet. Seine ganze Erscheinung hatte etwas Würdevolles, ja, Majestätisches. Dazu strahlte er eine Erhabenheit und Schönheit aus, wie Maria sie noch nie an einem Menschen gesehen hatte. Dann dieses rätselhafte Leuchten in seinem Gesicht und dieser Glanz in seinen Augen. Das konnte unmöglich ein Mensch sein. Sie ahnte es. Das musste ein Engel sein. In der Synagoge hatte sie gehört, dass es solche Boten Gottes gäbe. Aus den alten Büchern hatten sie von ihnen vorgelesen. Und jedes Mal hatte sie ein Schaudern erfasst, wenn die Gelehrten von diesen strahlenden Helden Gottes erzählt hatten. Aber das waren doch Geschichten aus uralten Zeiten, Geschichten, die nicht das Geringste mit ihrem Leben zu tun hatten, so war sie überzeugt. „Hab keine Angst, Maria!“, beruhigte sie der Engel erneut: „Gott liebt dich und hat etwas Besonderes mit dir vor.“ „Etwas Besonderes?“, wunderte sie sich. Sie war doch wirklich nichts Besonderes, bloß eine einfache junge Frau. Ein wenig verschämt schaute sie an ihrem schmutzigen Arbeitskleid herunter. Aber da fuhr der Engel fort: „Du wirst schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen, den sollst du Jesus nennen. Er wird ein König werden, wie David. Aber noch viel mächtiger, denn das Königreich dieses Königs wird niemals mehr aufhören. Ewig wird es bestehen bleiben.“ Die Worte des Engels trafen Maria, als hätte ihr jemand einen Stein an den Kopf geschleudert. „Ich soll ein Kind bekommen?“, stammelte sie schockiert, „ich hab doch noch nie mit einem Mann ...“ Ihre Gedanken überschlugen sich und ihr Herz krampfte sich zusammen. Wie um alles in der Welt sollte sie denn schwanger geworden sein? Sofort dachte sie an Josef. Er würde sie gewiss verstoßen, wenn er erführe, dass sie schwanger war. Was für eine Schande! Ganz Nazareth würde sich darüber das Maul zerreißen, wenn sie ein uneheliches Kind bekäme. Sie würden sie aus der Synagoge verbannen oder gar mit Steinen nach ihr werfen. Nein, eine solche Schande würde sie nicht überleben! „Das kann doch nicht sein“, stieß sie bestürzt aus. Wohlwollend schaute der Bote Gottes sie an: „Ich weiß, Maria“, sagte er gütig und verständnisvoll, „aber der Heilige Geist Gottes wird über dich kommen und die Kraft des Allerhöchsten Gottes wird dich überschatten. Deshalb wird das Kind, das du zur Welt bringst, auch ‚Sohn Gottes‘ genannt werden.“ Fassungslos starrte sie zu dem Engel auf, der nun lächelnd fortfuhr: „Sieh doch! Auch deine Verwandte Elisabeth ist in ihrem Alter noch schwanger geworden und erwartet einen Sohn, obwohl sie doch eigentlich gar keine Kinder bekommen kann.“ „Was?“, entfuhr es Maria, „Elisabeth bekommt ein Kind?“ „Ja, Maria. Sie ist sogar schon im sechsten Monat schwanger. Für Gott ist eben nichts unmöglich.“
„Für Gott ist nichts unmöglich.“ Dieser Satz hallte in ihrem Kopf nach. Ja, sie glaubte das auch, dass diesem Gott, der die Welt erschaffen hatte, nichts unmöglich war. Und im Hinblick auf ihre Verwandte Elisabeth mochte er auch auf wundersame Weise ins Leben eingegriffen haben. Denn Elisabeth war eine besondere Persönlichkeit, eine gottesfürchtige, mittlerweile alt gewordene Frau. Außerdem stammte sie aus dem berühmten Priestergeschlecht Arons. Und ihr Mann Zacharias war ein hoch geachteter Priester in Jerusalem. Dass solche besonderen Menschen derartige Wunder erlebten, war ja noch zu begreifen. Aber sie war doch nur ein kleines, unbekanntes junges Mädchen, ein unbeschriebenes Blatt, unscheinbar und unauffällig, aufgewachsen in einem öden, unbedeutenden Nest in Galiläa. Ausgerechnet mit ihr sollte der Heilige Gott Israels etwas so Unfassbares vorhaben? Maria schüttelte heftig den Kopf. Das war doch ganz und gar unmöglich.
Unmöglich ... „Für Gott ist nichts unmöglich“ ... Wirr drehten sich die Gedanken in ihrem Kopf. Sie spürte, wie ihre Knie weich wurden. Was sie hier erlebte, war einfach zu viel für sie. Mit einem Mal konnte sie sich nicht mehr auf den Beinen halten. Kraftlos sank sie zu den Füßen des Engels zu Boden. Wie lange sie dort verharrte, konnte sie später nicht mehr sagen. Doch irgendwann kehrte ihre Kraft zurück und ein für sie unerklärlicher Friede erfüllte ihr Herz, durchdrang ihren Körper wie ein sanfter, warmer Strom, spülte alle Angst und Sorge aus ihrer Seele. Sie spürte, wie ihr eine durchdringende Kraft zuteil wurde und eine Zuversicht erwuchs, mit der sie alles Kommende, alle Schwierigkeiten zu bewältigen wusste. Entschlossen schaute sie auf. Noch immer stand der Engel da, majestätisch und strahlend. „Ich bin bereit!“, sagte sie nun mit fester Stimme. „Ich will Gottes Dienerin sein. Alles soll so kommen, wie du gesagt hast.“ Dabei verneigte sie sich vor dem Engel. Als sie wieder aufschaute, war der Bote Gottes bereits verschwunden.
Maria sprang auf und lief zum Hoftor. Vielleicht war er ja nur nach draußen gegangen? Sie öffnete das Tor und rannte auf die Straße. Aber da war kein Engel. Sie bekam eine Gänsehaut. Hatte sie geträumt? Konnte es wirklich wahr sein, dass Gott sie dazu auserwählt hatte, die Mutter seines Sohnes zu werden? Noch einmal erschien es ihr ganz und gar unmöglich. Gedankenverloren stand sie vor dem Haus und sah, wie die Sonne unterging. Wie ein glühend roter Ball leuchtete sie am Horizont und tauchte die Hügellandschaft Galiläas in goldenes Licht. „Ich muss das alles meinen Eltern erzählen“, murmelte sie und lief los. Wie in Trance rannte sie durch die Straßen und erreichte bald das freie Feld. Sie hörte den Abendgesang der Vögel, und es schien ihr, als sängen sie heller und schöner als sonst. Da fühlte sie es, ganz tief in sich: Ein Wunder war geschehen. Sie konnte nicht anders, als Gott zu loben: „Von ganzem Herzen preise ich den Herrn“, betete sie, „ich bin so glücklich über Gott, meinen Retter. Wer bin ich schon, eine kleine, unbedeutende Frau. Und doch hat mich Gott ausgewählt, die Mutter seines Sohnes zu sein. Eines Tages wird jeder meinen Namen kennen und darüber staunen, was Gott mir geschenkt hat. So ist nur Gott. Das kann nur er!“ Lachend lief sie den Feldweg entlang. Sie fühlte sich wie eine Königin, und Tränen des Glücks rannen ihr übers Gesicht.

3 Josef
Josef wälzte sich unruhig auf seinem Lager hin und her. An Schlaf war nicht zu denken. Die Erlebnisse des vergangenen Tages hatten sein Leben völlig aus der Bahn geworfen. Noch einmal liefen sie vor seinem inneren Auge ab. Er konnte immer noch nicht fassen, was passiert war. Es war ein heißer Sommertag gewesen. Zusammen mit seinem Vater hatte er auf einer Baustelle in Nazareth gearbeitet. Als sie gerade damit beschäftigt waren, das Tor, das sie in den letzten Tagen in ihrer kleinen Werkstatt gebaut hatten, zu befestigen, erschien seine Verlobte Maria vor dem Haus. Josefs Herz hüpfte vor Freude, als Maria da unverhofft vor ihm stand. Meistens trafen sie sich ja bei Josefs Eltern, oder Josef besuchte Maria bei ihren Eltern. Dann saßen sie alle zusammen im Hof und unterhielten sich. Sich alleine irgendwo zu treffen wäre undenkbar. Wie oft hatte Josef davon geträumt, Maria endlich für sich zu haben, wie hatte er den Tag herbeigesehnt, wenn er sie zu sich in sein Haus holen durfte. Aber heute, als Maria plötzlich vor ihm stand und ihm so eindringlich und besorgt in die Augen schaute, da wusste er sofort, dass etwas Furchtbares passiert sein musste. Der Vater bemerkte schnell, dass seine zukünftige Schwiegertochter nicht in seinem Beisein reden wollte: „Sprecht nur miteinander“, forderte er die beiden mit einem verständnisvollen Lächeln auf, „ich bringe derweil schon mal die Werkzeuge ins Haus.“ Damit ließ er die beiden allein.
Josef wälzte sich auf die andere Seite seines Lagers. Wenn er doch nur schlafen und alles vergessen könnte. Noch immer hallten die Worte seiner Verlobten in ihm nach: „Josef, ich bekomme ein Kind!“ Wie ein Schlag in die Magengrube hatte es ihn getroffen. „Maria, was redest du da?“, hatte er nur fassungslos gestammelt, „das kann doch nicht sein!“ In seinem Schock war er unwillkürlich einen Schritt von ihr zurückgewichen. „Es ist nicht so, wie du denkst, Josef!“, hatte Maria gefleht, „lass mich es dir erklären!“ Was sollte er denn denken? Er war doch nicht dumm. Bitter schüttelte er den Kopf. Vielleicht könnte er ihr verzeihen, wenn sie zugegeben hätte, dass sie sich heimlich mit einem Mann getroffen hätte. Aber diese abenteuerliche Geschichte mit dem Engel und dem angeblichen Sohn Gottes, den sie zur Welt bringen würde, machte alles nur noch schlimmer für ihn. Warum dachte sie sich nur solche verrückten Geschichten aus? Glaubte sie wirklich, dass er ihr das abnehmen würde?
Josef stand von seinem Lager auf und ging unruhig im Zimmer auf und ab. Er war maßlos enttäuscht. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass ihn seine Maria mit einem anderen Mann betrügen könnte. Sie liebten sich doch. Zumindest hatte er das immer geglaubt. Josef blieb vor der kleinen Fensternische stehen. Nachdenklich starrte er in die Dunkelheit hinaus. Unzählige Sterne funkelten am nachtschwarzen Himmel. Aber was, wenn die Geschichte mit dem Engel doch stimmte? Immerhin schien es kaum weniger unglaublich, dass ihn seine geliebte Maria derart belügen könnte. Für einen Moment hoffte er, dass sich alles nur als böser Traum erweisen würde. Ja, er liebte Maria. Nicht nur, weil sie ein sehr schönes Mädchen war. Er liebte sie wegen ihrer Art, er liebte sie, weil sie Blumen mochte und weil sie ihn gelehrt hatte, auf den Gesang der Vögel zu achten. Er liebte sie, weil es ihn faszinierte, wie kindlich sie dem Gott Israels vertraute. Konnte er sich denn derart in ihr getäuscht haben?
Stöhnend setzte sich er wieder auf sein Lager und rieb sich die vom Weinen geschwollenen Augen. Der Gedanke, dass Maria – die er nicht einmal geküsst hatte, weil man damit bis zur Hochzeit wartete – in den Armen eines anderen Mannes gelegen hatte, machte ihn fast rasend vor Eifersucht. Ob er je damit fertigwerden würde? Sollte sie doch den Mann heiraten, von dem sie das Kind bekam! Nein! Er würde es jetzt nicht mehr tun können!
Wie müde und ausgelaugt er war. Die schwere Arbeit auf der Baustelle, der Schock, dem abgrundtiefe Enttäuschung und bittere Schmerzen gefolgt waren, das Bewusstsein, einen unermesslichen Verlust erlitten zu haben, hatten sich wie dunkle Schatten auf seine Seele gelegt. Irgendwann in den frühen Morgenstunden schlief er schließlich erschöpft ein.
Glück! Eine Welle puren Glücks durchströmte Josef, als er am Morgen aufwachte. Glück, das seinen Körper erschauern ließ und seine Schritte beflügelte. So sah man Josef durch die Gassen Nazareths laufen. Getragen von einem Gefühl unfassbarer Freude schwelgte er jubelnd in der roten Morgendämmerung dahin. Maria! Oh, wie er sie liebte! Vielleicht würde jetzt doch noch alles gut werden! Wie traurig war sie gestern von ihm weggegangen. Bestimmt hatte sie, so wie er auch, die ganze Nacht geweint, weil er ihr nicht geglaubt hatte. Endlich hatte er das Haus ihrer Eltern erreicht. Atemlos stand er davor. Stürmisch klopfte er an die Tür. „Maria! Mach auf! Ich muss mit dir reden!“ Dann standen sie sich gegenüber. „Maria!“, sagte er völlig außer Atem, „ich hab den Engel gesehen.“ „War er auch bei dir?“, fragte Maria bang, während sie ihren Verlobten mit verweinten Augen verwundert ansah. „Ja, er war auch bei mir. Es war zwar nur ein Traum, aber irgendwie auch wieder ganz real. Der Engel sagte, ich solle keine Angst haben, dich zu heiraten. Maria, jetzt glaube ich es auch. Du wirst den Sohn Gottes zur Welt bringen und wir sollen ihm den Namen Jesus geben. Maria, ich bin ja so froh!“ „Dann ist ja alles gut!“, stieß Maria unendlich erleichtert aus. Dabei konnte man sehen, wie glücklich sie war. „Ja, alles wird gut“, bestätigte Josef und strich ihr dabei zärtlich übers Haar. „Und jetzt lass uns unsere Hochzeit vorbereiten!“

4 Die Ankündigung des Kaisers
Josef legte die Axt beiseite, mit der er den schweren Holzbalken bearbeitet hatte, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Arme taten ihm weh von der schweren Arbeit. „Morgen werden wir mit dem Dachstuhl fertig werden“, machte der Vater ihm Mut, während er ächzend den Balken an die richtige Stelle des Daches schob. Dann stieg er die Leiter herunter. „Geh nur, Josef“, sagte er müde, „es ist spät geworden. Maria wartet sicher schon mit dem Abendessen auf dich. Ich räume noch ein wenig auf, dann gehe ich auch nach Hause.“ „Danke, Vater! Maria wird sich freuen. Dann kann ich ihr noch ein weinig behilflich sein“, erwiderte Josef und begann, seine Werkzeuge beiseite zu räumen. „Es wird für sie jetzt immer beschwerlicher mit ihrem dicken Bauch.“ Der Vater lächelte verständnisvoll: „Grüß sie schön von mir. Und sei morgen recht früh da. Dann können wir früher mit der Arbeit aufhören und müssen nicht in der größten Hitze des Nachmittags arbeiten.“ Erschöpft von den Strapazen des Tages, machte sich Josef auf den Weg. Er war so froh, gleich wieder bei seiner Maria sein zu dürfen. Vor einigen Monaten, kurz nachdem er diesen seltsamen Traum mit dem Engel gehabt hatte, hatten sie geheiratet. Einige aus dem Dorf hatten sich zwar darüber gewundert, dass die Verlobungszeit eigentlich doch recht kurz gewesen war; da aber noch keine Anzeichen einer Schwangerschaft bei Maria zu sehen gewesen waren, hatte man auch keine weiteren Fragen gestellt.
Als Josef sich dem kleinen Marktplatz näherte, drang der Klang einer Fanfare an sein Ohr. Eine kleine Menschenmenge hatte sich dort eingefunden. Erwartungsvoll schauten die Leute auf einen Mann, der neben seinem Wagenlenker auf einem prächtigen zweispännigen Streitwagen stand, eskortiert von einigen Soldaten auf Pferden. Josef erkannte sofort, dass es Römer waren. „Was ist hier los, Tabea?“, fragte Josef eine Nachbarin, auf die er zugesteuert war, „was wollen die Römer denn hier?“ „Keine Ahnung, was die wieder haben“, entgegnete sie achselzuckend, „aber ich befürchte, es bedeutet nichts Gutes.“ „Hört alle her”, erhob der Bote nun seine Stimme, „Kaiser Augustus befiehlt, dass sich alle Einwohner seines Reiches in Listen eintragen müssen. Jeder muss in die Stadt seiner Vorfahren gehen und sich dort melden.“ Nun wurde es in der Menge unruhig. Einige taten sogar halblaut ihren Unmut kund. „So eine Unverschämtheit“, sagte auch Tabea kopfschüttelnd, während sie neben Josef auf ihren Zehenspitzen balancierte, um auch alles mitzukriegen. Josef wurde blass. Ihm wurde schlagartig klar, was dieser Befehl für ihn bedeutete, denn er stammte aus dem kleinen Ort Bethlehem, der einige Tagesreisen entfernt im Süden, in Judäa, liegt. Sollte er mit seiner hochschwangeren Frau dorthin gehen müssen – nicht auszudenken, was das für eine Strapaze für Maria bedeuten würde. Doch der Bote war noch nicht fertig: „Der Kaiser will die Menschen seines großen Reiches zählen. Er will überprüfen, ob auch alle ihre Steuern bezahlen. Deshalb begebt euch unverzüglich in eure Heimatstädte und lasst euch dort in die Listen eintragen!“ Die anfangs noch leise gemurmelten Proteste schwollen nun an. Manche Zuhörer scheuten sich nicht, lautstark ihren Ärger zu bekunden. Und wäre die römische Besatzungsmacht nicht mit so massiver militärischer Präsenz aufgetreten, hätten sich die Proteste sicher noch wütender geäußert. Die Soldaten erkannten die Lage und trieben ihre Pferde noch näher an die protestierende Gruppe heran. Nervös tänzelten die mächtigen Schlachtrösser auf der Stelle. Ein Pferd stieg hoch und hätte mit seinen Hufen beinahe ein Kind getroffen, das schreiend zur Seite wich. Die ganze Szene wirkte so bedrohlich, dass der aufkeimende Tumult schnell erstickt wurde. Noch einmal erhob der Bote drohend seine Stimme: „Wer dem Befehl des Kaisers nicht gehorcht, muss mit harten Strafen rechnen.“ „Wann werden wir diese furchtbaren Römer endlich los?“, stöhnte Josef leise, „fast die ganze Welt haben sie schon erobert, und jetzt wollen sie uns noch mehr Steuern abnehmen.“ „Eines Tages wird Gott uns einen Befreier schicken“, sagte Tabea hoffnungsvoll. „Vielleicht ist er ja schon unterwegs“, erwiderte Josef mit einem tiefgründigen Lächeln. Dabei dachte er an das Kind, das da in seiner Frau Maria heranwuchs und nun bald zur Welt kommen würde. „Platz! Macht Platz dem kaiserlichen Boten!“, befahlen die Soldaten auf den Pferden und drängten die Menschen auseinander. Die Fanfare erklang erneut und der Tross zog weiter.

5 Bethlehem
Josef taten die Arme weh. Den ganzen Tag lang hatte er mit einem langen Stock die reifen Oliven vom Baum geschlagen. Mit letzter Kraft verpasste er einigen Ästen hoch oben in der Krone noch einmal ein paar gezielte Hiebe. Dunkel glänzende Oliven prasselten auf den Boden, wo sie vom alten Jonathan, einem Onkel Josefs, in Körbe gesammelt wurden. „So schnell wie in diesem Jahr war ich mit der Olivenernte noch nie fertig. Du glaubst nicht, wie dankbar ich dafür bin, Josef.“ „Bedank dich beim Kaiser in Rom“, sagte Josef schmunzelnd und legte den Schlagstock auf den Boden. „Ich finde es eigentlich gar nicht so schlecht, dass die Beamten der Steuerbehörde derart aufgehalten wurden“, fuhr der Onkel listig fort. „Es hat sicher auch sein Gutes“, stimmte Josef müde zu und kniete sich zu seinem Onkel, um ihm beim Einsammeln der Oliven zu helfen. „Wenn wir nun schon so lange eure Gastfreundschaft strapazieren müssen, dann kann ich dir doch wenigstens etwas zur Hand gehen.“ Josef seufzte. „Ich hätte es allerdings nicht für möglich gehalten, dass sich das so lange hinziehen würde mit der Steuerschätzung.“ „Ich befürchte, Maria wird euer Kind hier in Bethlehem zur Welt bringen müssen“, sagte der Onkel sorgenvoll. Josef stöhnte, setzte sich auf und lehnte seinen schmerzenden Rücken an den knorrigen alten Olivenbaum, den sie gerade abgeerntet hatten. „Ich weiß gar nicht, wie das gehen soll bei den vielen Gästen in deinem Haus.“ „Ja, im Moment ist es wirklich sehr eng und unruhig bei uns. Die fünf Kinder von Levi und Sarah sind ja nun auch nicht die Ruhigsten“, fuhr Jonathan lachend fort, „ich bin wirklich froh, wenn das alles vorbei ist und wieder Ruhe bei uns einkehrt.“ „Gestern traf ich übrigens Ariel“, fuhr Josef fort, „er geht für längere Zeit als Baumeister nach Jerusalem und hat mir angeboten, für eine Zeit in seinem Haus wohnen zu dürfen.“ „Oh, das ist aber ein gutes Angebot. Der Winter steht ja vor der Tür. Sollte Maria jetzt bald das Kind bekommen, würde ich dir die weite Reise nach Galiläa mit dem kleinen Kind wirklich nicht empfehlen“, erwiderte der Onkel. „Außerdem wollt ihr doch sicher nach dem Gesetz euer Kind dem Herrn im Tempel darbringen. So lange solltet ihr mindestens noch in Bethlehem bleiben. Und Arbeit als Baumeister gibt es doch hier auch genug für dich!“ „Ich werde es mir überlegen, Jonathan, und gleich einmal mit Maria darüber sprechen.“ Josef erhob sich ächzend. „Ach, heute spüre ich aber meinen Rücken.“ Jonathan lachte: „Ja, das ist schon ungewohnte Arbeit für einen Baumeister.“ „Soll ich schon mal den Esel holen gehen?“ Josef wandte sich zum Gehen. „Das wäre gut, dann sammle ich die restlichen Oliven noch ein“, sagte der Onkel und fuhr fort die Früchte einzusammeln. „Das Tier steht hinter dem Haus auf der Weide!“, rief er Josef hinterher. „Und lass dir von Hannah die beiden großen Körbe geben!“ „Mach ich!“, entgegnete Josef und war kurze Zeit später hinter den Olivenbäumen verschwunden.
Obwohl die Regenzeit begonnen hatte und der Winter fast schon vor der Tür stand, war es noch einmal ein warmer, sonniger Tag gewesen. Allerdings hatte es während der letzten Tage fast ununterbrochen geregnet. Deshalb hatten sich alle auch tagsüber im Haus aufhalten müssen. Das gestaltete sich ziemlich nervenaufreibend. Neben Levi, Sarah und den Kindern hatte Josefs Onkel noch zwei weitere Verwandte aufgenommen, die wegen der Steuerschätzung ebenfalls angereist waren. Nachts kamen dann noch die Tiere dazu. Die Enge, der Lärm und die Unruhe waren unbeschreiblich. Josef und Maria hatten sich unten im Stallbereich ihr Lager eingerichtet. Auf dem weichen Heu schlief es sich gar nicht so schlecht. Nur machte sich Josef zunehmend Sorgen um seine Frau. Eigentlich benötigte sie in ihrem jetzigen Zustand viel mehr Ruhe. Aber daran war in dem mit Menschen und Tieren vollgestopften kleinen Haus natürlich nicht zu denken.
Josef ließ seinen Blick über die sanfte Hügellandschaft mit den Feldern und Gärten wandern. Ja, es war wirklich schön hier in Bethlehem. Als Kinder waren sie oft durch die Olivenhaine gestreift und weiter oben zu den Weideplätzen gelaufen, um zuzuschauen, wenn sich die Hirten dort am Ende des Sommers mit ihren Herden niedergelassen hatten. Jetzt, wo die Regenzeit begann, spross überall frisches, grünes Gras. Die Weinernte war längst vorüber, aber die leuchtend roten Granatäpfel hingen noch in den Sträuchern und würden bald auch abgeerntet werden.
Schnell hatte Josef die Hügel mit den silbrig glänzenden Olivenbäumen hinter sich gelassen. Die ersten Häuser der kleinen, geschichtsträchtigen Stadt Bethlehem tauchten vor ihm auf. Hier war tausend Jahre zuvor der legendäre König David geboren worden. Josef war stolz darauf, ihn zu seinen Vorfahren zählen zu dürfen. Früher, als er noch hier wohnte, hatte man immer etwas abfällig über die Galiläer im Norden gesprochen. Manche verachteten die einfachen und ungebildeten Bauern, die an der Grenze zum heidnischen Ausland lebten, sogar etwas. Man unterstellte ihnen, die Tora, das Gesetz Gottes, nicht ernst genug zu nehmen. Josef musste sich eingestehen, dass er sich früher von diesen Vorurteilen auch hatte anstecken lassen. Und jetzt wohnte er selber dort. Ausgerechnet in Nazareth, einer Stadt, von der man hier in Judäa besonders abfällig sprach. „Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?“, pflegten die Leute zu sagen. Josef schmerzte das, war er doch ein frommer und gottesfürchtiger Mann.
Wären die Umstände anders gewesen, hätte er den Aufenthalt in seiner Heimatstadt sicher mehr genossen. Die Menschen hier waren längst nicht so arm wie in Galiläa. Denn Bethlehem profitierte enorm davon, dass es nur wenige Kilometer vor den Toren Jerusalems lag. Deshalb ging es selbst den Bauern hier sehr gut. Manche waren so reich geworden, dass sie sogar Schafhirten anstellen konnten. Denn in Jerusalem, in der Herodes gerade den beeindruckenden Tempel erweiterte und ausbaute, stellte einen ziemlich profitablen Umschlagplatz für ihre ländlichen Erzeugnisse dar. Jerusalem! Sie war gewiss eine der schönsten und faszinierendsten Städte im ganzen römischen Imperium. Tausende kamen hier zu den großen jüdischen Festen zusammen. Ein gutes Geschäft für die Bauern aus Bethlehem, die gar nicht genug Schafe und Ziegen züchten konnten, bei deren Verkauf als Opfertiere in der Tempelstadt stets ein satter Gewinn heraussprang.
Langsam näherte sich Josef seiner Heimatstadt. Das kleine, beschauliche Bethlehem schien aus allen Nähten zu platzen. Zu lange wartete man nun schon auf den Provinzialzensus, der mit seinen Beamten aus Rom immer noch nicht eingetroffen war. Die Steuern drückten die Menschen hart. Als frommer Jude hatte man eh schon den zehnten Teil der landwirtschaftlichen Erzeugnisse an die Priester des Tempels zu entrichten, zusätzlich fiel auch noch die Tempelsteuer an. Und als ob diese religiösen Steuern nicht schon hoch genug gewesen wären, sollte ihnen jetzt eine noch größere Steuerlast von den Römern aufgebürdet werden. Kein Wunder, dass die Stimmung in Bethlehem gereizt, ja, explosiv war und an allen Ecken hitzige Diskussionen geführt wurden. Einige hielten es sogar für abscheulichen Götzendienst, die geforderte Steuer zu entrichten, weil auf dem römischen Silberdenar der Kopf des verhassten römischen Gott-Kaisers Augustus abgebildet war. Aber was blieb den von der Weltmacht unterdrückten Menschen anderes übrig, als zu zahlen, denn die Besatzer fackelten nicht lange. Josef selbst hatte es vor einiger Zeit selbst miterlebt, wie in Sepphoris, das ganz in der Nähe von Nazareth lag und sich immer mehr zu einem heimlichen Zentrum des Widerstands entwickelte, galiläische Bauern von ihrem Grund und Boden vertrieben und zu Sklaven gemacht wurden, weil sie sich geweigert hatten, an die Römer zu zahlen. Wiederholt war es hier zu bewaffneten Konflikten mit der verhassten Besatzungsmacht gekommen, die sich jetzt, bei dieser neuerlichen Steuerschätzung, gefährlich zuzuspitzen drohten. Deshalb hatte Josef auch nicht gezögert, sich mit seiner hochschwangeren Maria sofort auf den Weg nach Bethlehem zu machen, als der Befehl dazu ergangen war. Die Menschen sehnten sich nach dem von Gott verheißenen Messias, der das unterdrückte Volk befreien und erlösen würde.

6 Die Geburt
Endlich hatte Josef das Haus seines Onkels erreicht. Gerade als er das Hoftor öffnen wollte, kam Levi um die Hausecke gerannt. „Josef, ich hab dich schon gesucht. Es ist so weit!“, rief er aufgeregt. „Was ist so weit?“ Verblüfft schaute Josef seinen Verwandten an, der lachend näher kam und Josef freundschaftlich auf die Schulter klopfte. „Das Kind kommt! Sarah hat schon die Hebamme kommen lassen!“ „Wo ist sie? Ich muss sofort zu ihr!“ Josef schob das Tor auf und rannte über den Hof auf das Haus zu. „Lass das mal lieber, Josef. Das ist jetzt Frauensache!“ Josef blieb stehen und sah hilflos zu Levi herüber. „Aber ich muss ihr doch beistehen!“ „Sarah und Hannah sind doch bei ihr und die Hebamme ist auch da. Glaub mir, du störst da nur.“ Levi wies auf einige Schemel, die an der Mauer standen. „Komm, setz dich erst mal und trink was.“ Josef ließ sich auf einen der Schemel fallen, während Levi ihm einen Becher mit Wasser reichte. Schreie drangen aus dem Inneren des Hauses nach draußen. Josef wurde blass. Plötzlich sprang er verwirrt auf: „Ich wollte dem Onkel doch den Esel bringen. Das hätte ich in der Aufregung fast vergessen!“ „Gar kein Problem, Josef“, beruhigte ihn Levi lachend. Für ihn als fünffachen Vater schien so eine Geburt nicht mehr allzu aufregend zu sein. „Ich erledige das für dich!“ „Aber du kannst mich doch jetzt nicht alleine lassen!“ „Bleib ganz ruhig! Beim ersten Mal dauert´s meistens länger. Ich bin ja gleich wieder zurück!“ Damit war er verschwunden. Wieder drang ein mühsam unterdrückter Schrei nach draußen. Josef stand auf und ging unruhig im Hof auf und ab. Das war ja kaum auszuhalten. Konnte er denn gar nichts machen? Endlich erschien seine Tante in der Tür. Ihr Lächeln zerstreute für einen Augenblick seine Sorgen. „Wie geht es Maria?“ „Es geht ihr gut. Gott wird ihr beistehen“, erwiderte Sarah und goss aus einem Krug Wasser in eine Schüssel. „Wie lange wird es noch dauern?“ „Das weiß nur Gott allein, aber es wird sicher nicht mehr lange dauern.“ Aufmunternd zwinkerte die Tante Josef zu und verschwand dann mit der Schüssel im Haus. Josef stand auf und lief wieder unruhig im Hof auf und ab. Plötzlich blieb er stehen. Was war das? Schrie da nicht ein Säugling? Dann öffnete sich die Tür und Hannah streckte ihren Kopf heraus: „Es ist ein Junge!“, rief sie freudig. Kurze Zeit später hielt Josef das neugeborene Kind, das man bereits in warme Windeln eingeschlagen hatte, in seinen Armen. Glücklich schaute er abwechselnd auf das Kind und auf Maria, die Josef mit dem Kind ebenfalls voller Glück betrachtete. „Wie soll er denn heißen?“, fragte die Tante neugierig. „Er soll Jesus heißen“, erwiderte Maria leise. „Ja, er soll Jesus heißen“, bestätigte Josef und lächelte dabei bedeutungsvoll.

7 Die Hirten
Es hatte lange gedauert, bis an diesem Tag in dem kleinen Haus Ruhe eingekehrt war und endlich alle auf ihren Matten lagen und zu schlafen schienen. Vor allem die Kinder waren an diesem Abend kaum noch zu bändigen gewesen. Jedes wollte das Neugeborene einmal auf den Arm nehmen und herumtragen. Bis es Josef dann doch zu viel wurde und er es einfach in die Futterkrippe legte, natürlich nachdem er diese zuvor mit weichem Heu ausgepolstert und ein sauberes Tuch darübergebreitet hatte. Da lag es nun, warm eingepackt in Windeln, und schlief friedlich, nachdem Maria es noch einmal gestillt hatte. In der Nacht wurde es ziemlich kalt. Der Winter schickte seine Vorboten. Ab und zu blökte ein Schaf, die Esel raschelten im Stroh und traten bisweilen mit ihren Hufen gegen die Wand. Dann schreckte Maria jedes Mal aus dem Schlaf hoch. Zwei braun gescheckte Kühe lagen auf dem Boden, kauten müde vor sich hin und schnauften. Endlich streckte sich auch Josef neben Maria im Stroh aus. Wenigstens ein paar Stunden wollte er jetzt schlafen. Aber was war das? Draußen waren plötzlich Stimmen und Hundegebell zu hören. Sie kamen näher. „Maria, hörst du das?“, flüsterte Josef. „Wer mag das um diese Zeit noch sein?“, erwiderte Maria, richtete sich erschrocken auf und tastete unwillkürlich nach dem Kind, das aber friedlich neben ihr in der Krippe schlief. Auch Levi und Sarah, die oben im Wohnbereich geschlafen hatten, waren durch den Lärm wach geworden und horchten angestrengt nach draußen. „Hört ihr das auch?“, flüsterte nun auch Jonathan und erhob sich von seinem Lager. „Was ist denn da nur für ein Lärm?“
Jetzt stand auch Josef auf und ging zur Tür, öffnete sie leise und trat auf den Hof. Er schlich zum Tor, sperrte es auf und schaute auf die Straße. Laternen bewegten sich im Dunkeln. In weite Mäntel gekleidete Gestalten kamen auf das Haus zugelaufen. „Hierher, Leute! Hier muss es sein!“ Josef, der zunächst an einen Überfall dachte, schlug die Tür erschrocken zu und verriegelte sie schnell. Das Hundegebell wurde lauter. „Still, Hasan, ruhig, ruhig!“, befahl eine Stimme. „Ist hier ein Kind geboren?“, schallte es über die Mauer. Inzwischen war auch Jonathan bei Josef im Hof angekommen. „Das ist doch Yehuda!“, stellte der Onkel erstaunt fest, „was will der denn hier mitten in der Nacht?“ Dabei öffnete er kopfschüttelnd das Tor. Vor ihnen stand ein alter Mann mit weit aufgerissenen Augen. Er hielt eine Laterne in der Hand, so dass Josef sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht sehen konnte. Der Alte hatte einen großen, grauen Bart und trug einen schmutzigen Turban auf dem Kopf. Schwer atmend blieb er vor Josef und Jonathan stehen: „Engel, da waren ganz viele Engel draußen bei den Herden!“, stammelte er wie von Sinnen, „stimmt es wirklich, was der Engel gesagt hat?“ „Was redest du denn da, Yehuda?“ Erschrocken trat Jonathan einen Schritt zurück. War der alte Hirte jetzt wirr im Kopf, oder hatte er einfach zu viel Wein getrunken? Inzwischen waren weitere Hirten aus der Dunkelheit aufgetaucht, die alle wirr durcheinanderredeten und von Engeln berichteten, die ihnen draußen bei den Herden erschienen seien, und von dem Retter der Welt, der hier geboren sei und in einer Futterkrippe läge. Von einem unfassbar hellen Licht, dass sie in Angst und Schrecken versetzt habe, war die Rede.
Josef trat verblüfft einen Schritt zurück. Ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken. Ja, Gott hatte seine Zusage erfüllt, hatte sein Wort wahr gemacht. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr für ihn. „Ich will den Retter auch sehen“, sagte ein kleiner Junge nun, drängelte sich an den Hirten vorbei und schaute Josef mit seinen großen, dunklen Augen an. „Ja, kommt nur!“, forderte Josef sie mit einer einladenden Handbewegung auf, „der Retter der Welt wurde hier heute wirklich geboren!“ Dabei trat er zur Seite, um den Hirten Platz zu machen, die es kaum erwarten konnten, das Kind zu sehen. Natürlich waren alle anderen im Haus längst ebenfalls wach geworden. Auch die Kinder standen schlaftrunken da und rieben sich ungläubig die Augen, als die Hirten den Stall betraten und etwas verlegen Maria begrüßten. Schließlich hockten und knieten sie alle vor der Krippe und staunten über das Kind, das in diesem Stall vor ein paar Stunden das Licht der Welt erblickt hatte. Und ganz vorne an Futterkrippe stand der Hirtenjunge. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte ihn Josef freundlich. „Samuel“, antwortete der Junge schüchtern. „Erzähl doch mal, was ihr erlebt habt, Samuel.“ Und dann berichtete Samuel. Zuerst stockend, dann aber immer flüssiger. Er erzählte, wie sie am Abend die Schafe zusammengetrieben, später dann am Feuer gesessen und vor sich hingedöst hatten. Wie die Flamme kleiner und kleiner geworden war und er furchtbar gefroren hatte. Und dann sei auf einmal der Engel da gewesen. Er, Samuel, habe einen wahnsinnigen Schrecken bekommen und am ganzen Leib gezittert, weil er doch noch nie einen echten Engel gesehen habe und weil der Engel so hell geleuchtet habe. Aber der Engel habe zu ihnen gesagt, sie sollten keine Angst haben, denn in Bethlehem, in der Stadt Davids, sei der Retter der Welt geboren. Sie könnten es daran erkennen, dass er in Windeln gewickelt sei und in einem Krippe läge. Und dann seien auf einmal unzählige Engel da gewesen. Es sei unvorstellbar hell gewesen und die Engel hätten unglaublich schön gesungen. Noch nie habe er ein so schönes Lied gehört. „Weißt du noch, was sie gesungen haben, Samuel?“, fragte Maria, als Samuel geendet hatte. Der Junge schaute den alten Mann mit dem weißen Bart fragend an. „Hast du´s dir gemerkt, Großvater? Ich kriege es wohl nicht mehr zusammen.“ Der alte Mann lächelte, und seine Augen leuchteten. „Ja, ich weiß es noch. Und ich werde es wohl mein Lebtag nicht mehr vergessen.“ Feierlich erhob der alte Hirte seine Stimme: „Gott im Himmel soll geehrt werden und auf der Erde wird Friede sein, und bei allen Menschen, an denen Gott seine Freude hat.“

8 Ein heller Stern
In einer lauen, sternklaren Nacht saß ein Mann auf dem flachen Dach eines Hauses. Er trug ein weites Gewand aus rotem Purpurstoff. Sein weißer Bart fiel ihm bis auf seine Brust. Nur eine Sichel breit schien der Mond am Nachthimmel, so dass die Umrisse der Stadt nur ganz schemenhaft zu erkennen waren. Es lag Stille über den Häusern, nur das Zirpen der Grillen war zu hören. Lautlos schwirrten große Fledermäuse um das Haus. In der Ferne erklang manchmal der heisere Schrei eines Vogels. Vor sich auf dem Boden hatte der alte Mann eine Buchrolle ausgebreitet. Ein kleines Windlicht stand auf dem Pergament, und so konnte man Punkte und Striche darauf erkennen, mit etwas Fantasie sogar Figuren ausmachen. Aufmerksam studierte der Alte die Buchrolle. Dann hob er den Kopf und sah nach oben. „Das ist ja unglaublich, wirklich unglaublich“, murmelte er immer wieder. Mit einem Mal packte er das Pergament zusammen und kletterte die Leiter herunter in den Hof. Kurze Zeit später sah man ihn durch die engen Gassen der Stadt laufen. Doch schon bald tauchte er mit zwei anderen Männern wieder auf. Der eine von ihnen war klein. Er hatte ein rundes Gesicht und unter seinem Gewand zeichnete sich ein nicht unbeträchtlicher Bauch ab. Der andere war groß und ziemlich dünn. Man konnte sehen, wie sie vom Innenhof des Hauses über eine Holzleiter aufs Dach stiegen. „Nun komm schon, Aziz“, sagte der Alte, der hier zu Hause war. „Immer mit der Ruhe, ein alter Mann ist schließlich kein Rennkamel“, keuchte der Dicke, der nur mühsam die Leiter hochkam. „Was gibt´s denn so Wichtiges, dass du uns mitten in der Nacht aus den Betten schmeißt, Schadrach?“ Der Dünne gähnte. „Da, seht!“ Schadrach deutete auf einen Stern, der besonders hell leuchtete. „Das, das ... ist ja höchst erstaunlich, geradezu außerordentlich bemerkenswert“, keuchte Aziz und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn.
„Der Jupiter steht ganz nahe beim Saturn. Außerordentlich interessant!“, fuhr Aziz staunend fort. „Und das nun schon zum dritten Mal in einem einzigen Jahr“, fügte der Alte aufgeregt hinzu, um dann etwas schulmeisterlich fortzufahren: „Ihr wisst doch sicher, was das bedeutet? Schließlich habe ich die beiden besten Sterndeuter Babylons auf mein Dach gebeten.“ „Das ehrt uns“, spöttelte Legolas, „immerhin weiß jeder Astrologie-Anfänger, dass der Königsstern Jupiter für den höchsten babylonischen Gott steht und der Planet Saturn mit dem König von Israel in Verbindung gebracht wird.“ Legolas starrte angestrengt in die Buchrolle: „Die Sterne befinden sich im Sternbild des Fisches und dieses Sternbild steht ebenfalls für das Land Israel. Aber was bedeutet das?“ „Ich dachte, ich hätte mich hier mit den bekanntesten Gelehrten Babylons umgeben“, sagte nun der Alte spöttisch. „Das bedeutet nichts anderes, als dass dort in Israel ein neuer König geboren wurde“, fuhr Schadrach mit leuchtenden Augen fort, „bei dieser besonderen Planetenstellung muss es ein ganz außergewöhnlicher König sein. Ein sehr, sehr mächtiger König.“ „Das ist wirklich außerordentlich bemerkenswert“, keuchte Aziz noch immer atemlos. „Sollte hier eine alte Prophezeiung, die ich einmal in den alten Schriften Persiens gelesen habe, in Erfüllung gehen?“ „Keiner kennt die alten Schriften besser als du“, stellte Schadrach fest, „deshalb habe ich dich heute auch dazugebeten.“ „Du hättest mich besser bei meinen Büchern lassen sollen“, klagte Aziz, „dies hier ist meiner Gesundheit ganz und gar abträglich.“ „Nun rede schon, Aziz!“, mischte sich Legolas ungeduldig ein, „um welche Prophezeiung handelt es sich?“ „Zur Zeit des Königs Nebukadnezar tauchten in Babylon alte jüdische Schriften auf“, dozierte Aziz, „darin wird ein Seher Namens Bileam erwähnt, der prophezeite, dass ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen werde.“ „Ein Stern aus Jakob?“, fragte Schadrach und schaute angespannt auf das Pergament. „Sollte dies tatsächlich der Stern aus Jakob sein? Es ist ja geradezu verblüffend, wie sich diese Sternenkonstellation mit der alten Prophezeiung aus deinen Büchern deckt, Aziz.“ „Bemerkenswert verblüffend!“, ergänzte Aziz lapidar. „Kollegen, Männer!“, erhob Schadrach nun seine Stimme. „Theorien sind ja gut und schön, ob sie allerdings auch immer stimmen, das ist eine zweite Frage. Darum lasst uns den Versuch machen.“ „Welchen Versuch?“, fragte Legolas verwirrt. „Lasst uns nachprüfen, ob meine Theorie mit dem neugeborenen König stimmt.“ „Das hieße, wir müssten mal kurzerhand in Israel nachschauen gehen?“ Das schon recht lange Gesicht des Langen wurde noch länger. „Das wäre außerordentlich anstrengend, geradezu abenteuerlich, ja ausgesprochen kühn!“ Aziz ließ sich in Erwartung der kommenden Strapazen erschöpft auf den Boden fallen und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht: „Wirklich, außerordentlich anstrengend, dieser Versuch.“ „Wir sind Gelehrte “, beharrte der Alte, sein graues Haupt hin- und herwiegend, „seriöse Gelehrte stellen nicht nur Theorien auf, sie überprüfen sie auch. Außerdem bin ich auf den neugeborenen König der Juden neugierig geworden. Ihr vielleicht nicht?“ „Ich bin außerordentlich interessiert“, schnaufte Aziz. „Und ich bin sehr gespannt“, bemerkte Legolas trocken. Und so beschlossen sie, das Abenteuer ihres Lebens zu wagen und nach Israel zu reisen.

9 Die Reise nach Jerusalem
Sie beluden ihre Kamele, steckten Geschenke ein und machten sich auf den Weg, um den neugeborenen König zu suchen. Sie zogen durch Wüsten, wo am Tag die Sonne sengend heiß brannte und es in den Nächten bitterkalt wurde. Sie ritten durch tiefe, dunkle Schluchten, durch die wilde Flüsse rauschten und Wasserfälle tosend von den hohen Felsen stürzten. Sie kamen über Berge, deren Gipfel mit Schnee bedeckt waren. Sie hungerten und sie froren. Sie litten Durst und sie schwitzten. Dann wieder wanderten sie über grüne saftige Wiesen, wo ihre Kamele frisches Gras fressen und sauberes Wasser trinken konnten, das in kristallklaren Bächen ruhig daherfloss. Sie kamen durch Städte, wo ihnen die Menschen feindselig begegneten, und sie ritten durch Dörfer, wo man sie freundlich zum Tee einlud. Viele Wochen ging das so.
Endlich sahen sie die Stadt Jerusalem. Sie lag vor ihnen auf einem Berg und glänzte golden in der Abendsonne. „Heute ist es schon zu spät, um das Kind zu suchen“, sagte der Alte, dessen Bart noch ein Stück gewachsen war. „Lasst uns hier die Zelte aufbauen, ich bin müde“, gähnte der Lange, der noch dünner geworden zu sein schien. „Die Stadt ist wirklich ganz  außerordentlich schön, geradezu atemberaubend“, staunte der Kleine, der an Bauchumfang allerdings gewaltig eingebüßt hatte. Allen waren die Strapazen der wochenlangen Reise anzusehen.
Am nächsten Morgen gingen sie in die Stadt. Es herrschte buntes Treiben in den engen Gassen. Frauen trugen Krüge auf ihren Köpfen. Männer schoben Holzkarren. Esel, die mit Körben voller schwarzer Oliven, goldgelber Datteln oder grüner Feigen beladen waren, wurden durch die engen Gassen geführt. Ein Junge trieb einige Ziegen und Schafe vor sich her. Die drei Männer ließen sich mit dem Strom aus Menschen und Tieren durch die Straßen und Gassen treiben. Alle Wege mündeten schließlich in den Marktplatz ein. Hier hatten Händler ihre Waren in Körben und Tongefäßen auf dem Boden platziert. Auf Tüchern lagen braune Zwiebeln und weißer Knoblauch, Sellerie und weiße Rüben. Wie ein bunter Flickenteppich sah das aus. Es gab grünes Olivenöl aus Judäa, duftenden Tannenhonig aus Galiläa und dunkelroten Wein von den Höhen des Karmel. An einer Ecke wurden Schafe und  Ziegen verkauft, daneben kleine, gelbe Küken, rotbraune Hühner und weiße Tauben feilgeboten. Auch Tuchhändler, die ihre leuchtend roten Purpurstoffe anpriesen, waren zu sehen. Es muhte und blökte. Es schnatterte und krähte. Es duftete nach Gewürzen und Kräutern. Es roch nach Fisch und Käse. Es stank nach Abfällen und Eselsmist. Sogar frisch geröstete Heuschrecken konnte man hier kaufen. Dazu gab es geröstete Mandeln und Pistazien.
Es gab so viel zu sehen, zu schmecken, zu hören und zu riechen, dass die drei sogar für einen Moment vergaßen, weshalb sie nach Jerusalem gekommen waren. Der Kleine mit dem runden Gesicht hatte sich die Taschen mit Mandeln und Pistazien gefüllt, die er „außerordentlich geschmackvoll und überaus aromatisch“ fand. Eine Zeitlang genossen die drei Babylonier das Marktgeschehen. Dann besannen sie sich und erkundigten sich nach dem neugeborenen König. Aber wen immer sie auch fragten, Achselzucken und erstaunte Gesichter waren die Reaktion. „Ein neuer König?“, flüsterte eine alte Frau und schaute sich dabei ängstlich um, „wir haben hier doch nur unseren König Herodes.“ Dabei wurden ihre Augen kalt. Angst und Hass waren darin zu lesen. Aber das sahen die Gelehrten nicht, weil sie vom bunten Markttreiben noch zu sehr fasziniert waren.

10 Herodes der Große
Viele Menschen in Jerusalem hatten tatsächlich Angst vor König Herodes. Herodes der Große wurde er genannt, aber nicht wegen seiner großen Heldentaten. Er war ein Tyrann, ein großer Betrüger und Mörder. Nur mit Hilfe der verhassten Römer hatte er die Stadt Jerusalem erobert, nachdem er dort ein furchtbares Blutbad angerichtet hatte. Wer ihm nicht passte, den ließ er umbringen. Nicht einmal seine eigene Frau, seine Schwiegermutter und seine Söhne waren vor ihm sicher. Natürlich hatte er überall seine Spione. So erfuhr er sehr schnell, dass da drei Männer aus dem fernen Osten einen angeblich neugeborenen König suchten. „Wer sind diese Männer, die einen anderen König als mich suchen? Was fällt ihnen ein!“, schrie er, als seine Diener ihm davon berichteten. Seine Untergebenen zuckten zusammen. „Eine Unverschämtheit ist das. Es gibt keinen anderen König außer mir!“ Dabei sprang er von seinem Thron auf und tobte wütend durch den Saal. „Ich bin hier allein der König, sonst niemand! Geht mir aus dem Weg, ihr Idioten!“ Erschrocken sprangen die Diener zur Seite. „Lasst sofort den Hohen Rat einberufen, ich muss mit den Schriftgelehrten Israels reden. Nun macht schon, ihr Dummköpfe!“
Ängstlich liefen die Diener davon. Wenig später eilten die Gelehrten Jerusalems in den Königspalast. Sie trugen dicke Schriftrollen unter den Armen. „Wo wird der neue König, der angebliche Retter Israels, geboren, schaut in euren Schriften nach!“ „Da müssen wir gar nicht nachschauen, das wissen wir auch so“, entgegnete der Mutigste von ihnen. „Der Retter Israels wird aus Bethlehem kommen.“ „Was, aus Bethlehem? Aus diesem Kuhkaff soll ein König kommen?“ „Einen Moment bitte, ich werde Eurer Majestät die Stelle aus der Schrift zeigen.“ Dabei rollte der Schriftgelehrte etwas umständlich die Buchrolle hin und her. Schließlich fand er den gesuchten Text und zeigte darauf: „Hier steht es! Der Prophet Micha hat es schon vor langer Zeit vorausgesagt.“ Die anderen nickten stumm. „So, das reicht! Verschwindet jetzt!“ Damit schickte er die Schriftgelehrten wieder nach Hause. „Und ihr holt mir diese Ausländer in den Palast!“, fuhr er seine Diener an. „Aber seid freundlich zu ihnen!“
Die Diener brauchten nicht lange, um die drei Ausländer aus Babylon aufzuspüren. Kurze Zeit später standen sie vor dem König. „Ich hörte, dass ihr einen neugeborenen König sucht“, säuselte Herodes listig. „Majestät, woher wisst Ihr das?“ Legolas tat erstaunt. „Nun, edle Gelehrte, Jerusalem ist klein und die Häuser haben Ohren.“ Herodes war sichtlich darum bemüht, freundlich zu sein und seinen Ärger nicht zu zeigen. „Aber woher wisst ihr das denn, das mit dem neugeborenen König?“ „Wir sind Astrologen“, erwiderte Legolas trocken. „Soso, Astrologen.“ Es sollte ehrfürchtig klingen, doch es hörte sich eher spöttisch an. „Was haben die Herren Astrologen denn gesehen?“ „Wir haben eine außergewöhnliche Stellung einiger Planeten beobachtet, was darauf hindeutet, dass ein sehr mächtiger König geboren wurde.“ „Wann genau habt ihr diese Sterne denn gesehen?“ Herodes konnte seine Wut nur noch mühsam unterdrücken. „Schon vor einigen Monaten, Majestät.“ Schadrach fiel es nun auch schwer, dem König mit der nötigen Ehrerbietung zu begegnen. Dieser Herrscher gefiel ihm überhaupt nicht. „Wir haben uns dann sofort auf den Weg gemacht.“ „Ich weiß, wo ihr diesen König finden könnt.“ Herodes lächelte verschlagen: „In unseren alten Schriften steht, dass er aus Bethlehem kommen soll.“ „Bethlehem? Wo befindet sich das denn?“, seufzte Aziz, der des Reisens allmählich müde war. „Ihr reitet in Richtung Süden, dann seid ihr in einer Stunde da!“ Die Erleichterung über die Kürze der Reisestrecke war Aziz sichtlich anzumerken. „Ich habe da allerdings noch eine Bitte“, fuhr der König gerissen fort, „wenn ihr ihn gefunden habt, diesen neugeborenen König, dann kommt doch bitte noch einmal her und sagt mir Bescheid. Ich möchte ihn auch gerne einmal besuchen.“ „Selbstverständlich, Majestät, Ihr habt uns außerordentlich geholfen.“ Aziz verbeugte sich. Legolas machte einen Diener. Schadrach aber neigte nur ganz leicht sein Haupt. Dann gingen sie.

11 Endlich in Bethlehem
Als die Sterndeuter den Palast des Herodes verlassen hatten, stand die Sonne bereits tief am Horizont. Jetzt, da sie wussten, wo das Kind zu finden war, hielt sie nichts mehr in Jerusalem. Sie eilten zu ihren Kamelen und ritten sofort los. Bis zum Sonnenuntergang würden sie es gewiss noch schaffen. Bald zog die Dämmerung herauf. Schon konnte man die ersten Sterne am Himmel leuchten sehen. Eine fast unerträgliche Spannung lag in der Luft. Würde ihr Experiment klappen? Würden sie wirklich den neugeborenen König finden? Monate hatte es gedauert bis zu diesem Moment. Sie hatten diese Reise gewagt. Sie waren das größte Abenteuer ihres Lebens eingegangen. Sie hatten alles auf eine Karte, alles auf diesen einen Stern gesetzt. Wie der Wind flogen die Kamele dahin. Als Bethlehem sich vor ihnen abzeichnete, wurde es bereits dunkel. „Wisst ihr noch, wie ich euch damals auf dem Dach die Sterne gezeigt habe?“ Die Stimme des Alten klang jetzt fast feierlich. „Wie könnten wir das jemals vergessen?“, sagte Legolas ergriffen. „Ich war geradezu überwältigt“, fügte Aziz  keuchend hinzu. „Das Experiment ...“, fuhr Legolas beschwörend fort, „die Stunde der Wahrheit naht. Wird der Versuch gelingen?“ „Ganz sicher“, entgegnete der Alte, „da bin ich mir ganz sicher. Seht dort! Seht nur! Schaut euch das an! Da steht er!“ Freudig zeigte der Alte zum Himmel. „Wie hell und fröhlich er heute leuchtet, unser Stern! Freunde! Gleich sind wir am Ziel!“
Legolas ritt voraus, und es schien, als würde der Stern vor ihm hereilen. Von freudiger Erregung gepackt, ihre Augen fest auf den Stern gerichtet, folgten ihm die anderen nach. Erwartungsvoll schlugen ihre Herzen. Zum Zerreißen gespannt waren ihre Nerven. Was wäre, wenn sie sich doch getäuscht hätten? Ihre ganze Hoffnung hatten sie auf diesen Stern gesetzt. Was, wenn das alles nur Einbildung oder Fehldeutung gewesen wäre? Nicht auszudenken, wenn sich die ganze Mission als Trugschluss erweisen würde. Nun tauchten die ersten Häuser auf. Sie ritten weiter, atemlos vor Spannung. Da schien es, als würde der Stern über einem Haus stehen bleiben. „Da muss es ein!“, rief Schadrach erregt und sprang trotz seines fortgeschrittenen Alters fast wie ein Junger vom Kamel. „Aber das ist doch gar kein Königsschloss!“, gab Legolas zu bedenken, als sie auf das Haus zugingen, „sollten wir uns doch geirrt haben?“ „Ganz und gar schlicht und wenig beeindruckend!“, stellte Aziz kurzatmig fest.  

12 Hoher Besuch
Seit der Geburt Jesu waren einige Monate vergangen. Josef war mit seiner Familie inzwischen in das Haus Ariels gezogen. Eigentlich hatten sie nur den Winter über in Bethlehem bleiben wollen, aber Josef wollte die Arbeit, die er an einer Baustelle begonnen hatte, unbedingt noch zu Ende führen, denn die Bezahlung dafür war nicht schlecht.
Josef konnte sein Erstaunen kaum bändigen, als er an diesem Abend die Tür geöffnet hatte. Vor ihm standen drei seltsam gekleidete Männer, die für ihn sofort als wohlhabende und vornehme Ausländer zu erkennen waren. Er war so verblüfft über ihr ungewöhnliches Aussehen, dass ihm zunächst die Worte fehlten. „Der Gott des Himmels möge Euch segnen“, ergriff Schadrach in gebrochenem Aramäisch das Wort und machte dabei eine tiefe Verbeugung. „Der Friede des Herrn sei mit Euch!“, beeilte sich nun auch Josef zu sagen, „seid willkommen in meinem Haus!“ Mit einer einladenden Handbewegung bedeutete er den Fremden hereinzukommen. „Was führt euch denn zu uns?“ „Wir sind auf der Suche nach dem neugeborenen König von Israel“, schnaufte Aziz, dem der schnelle Ritt noch in den Knochen steckte, der aber das Aramäische als historisch versierter Gelehrter besser beherrschte. „Wir haben in unserer Heimat Babylonien eine ungewöhnliche Konstellation der Sterne ausgemacht, die darauf schließen lässt, dass hier ein mächtiger König geboren wurde“, führte Legolas aus. „Und nun sind wir gekommen, um ihn anzubeten“, ergänzte der Älteste der drei. Obwohl er solche höchst ungewöhnlich auftretenden Ausländer in Bethlehem normalerweise nicht zu Gesicht bekam, hatte sich Josef schnell gefangen. Seit Jesus geboren war, hatten sich in Bethlehem die unglaublichsten Dinge ereignet. Es verging kein Tag, an dem nicht irgendjemand vorbeikam, um sie zu besuchen und den kleinen Jesus zu sehen. Gut, dass sie bald wieder in Nazareth wohnen würden. Dann würde sich der Trubel sicher legen. Inzwischen hatte Josef die drei Gelehrten ins Haus geführt. „Maria, wir haben Besuch!“, sagte er, als er mit den Männern das Zimmer betrat. Maria, die gerade mit ihrem Sohn auf dem Arm auf einem niedrigen Schemel saß, stand erschrocken auf, als sie die Fremden erblickte. Nachdem sie sich wieder gefangen hatte, setzte sie das Kind in einen Korb, den Josef als Bettchen geflochten hatte. Dann verbeugte sie sich vor den Babyloniern. „Friede sei mit Euch!“, grüßte sie ehrfürchtig. Mit großen Augen musterte der kleine Junge die Männer in ihren bunten Gewändern. „Das ist er, den ihr sucht“, sagte Josef lachend und deutete dabei auf das Körbchen. „Er heißt Jesus.“ Dann wandte er sich zu Maria. „Und das ist meine Frau Maria!“ „Gesegnet seiest du, der du den Stern aus Jakob geboren hast!“, sagte Schadrach und verbeugte sich tief vor Maria. Dann kniete er sich vor das Körbchen, in dem der kleine Jesus wild mit seinen Ärmchen ruderte. „Mögest du mit deinem Licht die Welt erleuchten, du Stern aus Jakob!“, segnete ihn der alte Gelehrte, „und mögest du mit deinem Zepter ein mächtiges und ewiges Friedensreich schaffen!“ Auch die anderen knieten nieder und sprachen ihre Segenswünsche über dem kleinen Jungen aus. „Wir haben dir auch etwas mitgebracht“, sagte Schadrach und zwinkerte Jesus dabei zu. Dabei zog er einen Lederbeutel aus seinem Umhang und goss den Inhalt auf den Boden vor dem Körbchen aus. Goldene Münzen rollten durch den Raum. Maria schrie vor Verwunderung auf. Das war ja für ihre Verhältnisse ein unermesslicher Schatz. „Ihr könnt es sicher gut gebrauchen“, fügte Schadrach mit einem Blick auf die ärmlich wirkende Einrichtung des Hauses an. Und dann holten auch die anderen ihre Geschenke hervor. Legolas bückte sich nach einem Krug mit Myrrhe, den er zuvor dort abgestellt hatte, und übergab ihn Maria. Errötend nahm sie den kostbaren Duftstoff entgegen. Und der kleine Aziz hielt Josef einen großen Korb mit Weihrauch hin. „Das kann ich nicht annehmen“, murmelte der Beschenkte, dem bewusst war, dass das Räucherwerk so wertvoll wie Gold war. „Es ist nur ein kleines, bescheidenes Geschenk für einen außerordentlich großen und ungewöhnlichen König“, sagte Aziz und stellte den Korb kurzerhand vor dem kleinen Jungen auf den Boden.
Es wurde spät an diesem Abend. Maria hatte ein einfaches, aber schmackhaftes Essen aufgetragen und Josef einen Krug seines besten Weins geöffnet, dem vor allem Aziz außerordentlich zusprach und den er überaus edel, wunderbar geschmeidig und höchst aromatisch fand. Bis in die frühen Morgenstunden saßen sie zusammen und berichteten von ihren Erlebnissen. Unglaubliche Geschichten wurden da erzählt. Geschichten von strahlenden Sternen und von wunderschönen Engeln, von himmlischen Gesängen und von jubelnden Hirten. Und alle Geschichten hatten mit dem kleinen Jungen zu tun, der in dieser Nacht friedlich in seinem Körbchen lag und schlummerte.
Und als sich die Babylonier in den frühen Morgenstunden auf den Heimweg machten, da wussten sie, dass sie den Retter der Welt gesehen hatten, dem König der Könige begegnet waren. Sie hatten ihm ihre Geschenke dargebracht, aber noch reicher selbst beschenkt reisten sie zurück in ihr Land. Mit dem Licht des Sterns von Jakob, das nun in ihren Herzen strahlte, zogen sie in der Morgendämmerung froh und hoffnungsvoll der aufgehenden Sonne entgegen.
(evtl. lasse ich die Geschichte hier enden. Ich muss mit der Musik auf 24 Tracks kommen, das könnte für eine CD zu lange werden)

13 Betrogener Betrüger
Herodes hatte voller Spannung der Rückkehr der Gelehrten entgegengesehen. Er wartete einen Tag. Er lauerte zwei Tage. Er harrte noch einen weiteren Tag. Dann wurde er unruhig. Schließlich schickte er seine Geheimpolizei los. Die gefürchteten Häscher durchkämmten die ganze Stadt. Aber sie fanden die Männer nicht. Niemand wusste etwas. Niemand hatte etwas gehört oder gesehen. Schließlich standen die Spitzel ohne die Wissenschaftler aus dem fernen Osten vor dem König. Herodes schimpfte! Herodes tobte! „Was, ihr habt sie nicht gefunden? Ich lasse euch wegen Unfähigkeit in Ketten legen und in den Kerker werfen!“, schrie er seine Polizisten an. „Weg mit euch! Los, verschwindet! Geht mir aus den Augen!“ Mit eingezogenen Köpfen schlichen sie davon. „Diese Gauner, diese Halunken, diese elenden Ausländer! Betrogen haben sie mich!“ Der König kochte vor Wut. Er nahm den Weinkrug vom Tisch und schmetterte ihn zornig gegen die Wand. Scherben splitterten nach allen Seiten. Blutroter Wein lief an der Wand herunter. „Aber warte nur! Ich kriege dich, du Königskind! Ich lass dich beseitigen, du elender kleiner König!“ Herodes raste durch den Thronsaal wie ein verwundeter Tiger im Käfig. Er stieß Stühle um, er riss die Tischdecke vom Tisch. Schüsseln und Trinkgefäße flogen durch den Saal. Als der Anfall vorüber war, ließ der Herrscher sich keuchend auf seinen Thronsessel fallen und stützte den Kopf in die Hände. Aber in seinem kranken Gehirn rasten die Gedanken weiter. „Ich muss ihn unbedingt finden, diesen Königssohn!“, murmelte er vor sich hin. „Aber ich weiß nicht einmal seinen Namen. Wie alt mag er heute wohl sein? Sechs Monate vielleicht? So lange waren die Sterndeuter möglicherweise unterwegs gewesen. Wenn ich noch etwas mehr Zeit einräume, dürfte er also heute nicht älter als ein Jahr sein, auf keinen Fall aber älter als zwei. Mit zwei Jahren bin ich auf jeden Fall auf der sicheren Seite. Seine Zornesfalten wichen nun einem Grinsen. Es war ein grausames Grinsen, das in ein zwanghaftes Lachen überging. „Ja, ich bin auf der sicheren Seite! Niemand wird einem Herodes den Thron streitig machen! Niemand!“
Plötzlich sprang er von seinem Thron auf. „Wachen!“, brüllte er. Türen flogen auf und die Wachen eilten herbei. „Holt den Hauptmann, aber schnell!“ Die Wachen eilten davon und kamen mit dem obersten Befehlshaber der Truppen zurück. „Zu ihren Diensten, Majestät!“, salutierte der Hauptmann. „Hört, Hauptmann! Ich befehle, dass in Bethlehem alle Jungen, die zwei Jahre alt oder jünger sind, getötet werden!“ „Was? Ist das Euer Ernst, Majestät?“, vergewisserte sich der General schockiert. „Es sind doch Kinder ...“ Doch schon im selben Moment wusste der Soldat, dass es sinnlos war, sich diesem Befehl zu widersetzen. Es würde ihn seinen Kopf kosten. Kurze Zeit später stürmten die Schergen auf zweirädrigen Streitwagen davon. Ihre Helme glänzten und ihre scharfen Schwerter blitzten in der Sonne. Die Pferde schnaubten und wirbelten mit ihren Hufen Staubschwaden auf. Bald schon waren sie in einer Dunstwolke am Horizont verschwunden. In nur einer Stunde würden die Soldaten damit beginnen, ihr blutiges Handwerk zu verrichten.

14 Wieder unterwegs
Doch in dieser Nacht, bevor die Soldaten des Herodes nach Bethlehem kamen, geschah noch etwas anderes. Josef kniete hellwach neben Maria auf der Schlafmatte. „Maria“, flüsterte er aufgeregt. Aber seine junge Frau schlief tief und fest. Vorsichtig berührte er ihre Schulter. „Maria, wach auf!“ Er schüttelte sie leicht. „Was, was ist los?“, murmelte Maria schlaftrunken. „Wir müssen sofort hier weg, du musst aufstehen!“ Allmählich wurde Maria wach. „Was ist denn passiert?“, fragte sie verwirrt. „Ich hab den Engel im Traum wiedergesehen“, sagte Josef, „er hat uns befohlen, nach Ägypten zu fliehen, weil König Herodes unser Kind töten will.“ „Das ist ja entsetzlich“, stöhnte Maria, nunmehr hellwach. Auch Josef standen die Angst und Sorge vor dem, was sie in der Zukunft erwartete, ins Gesicht geschrieben. „Ein ruhiges Leben scheint uns nicht vergönnt zu sein“, seufzte er. „Ich habe, während du schliefst, schon alles Nötige zusammengepackt. Kümmere dich nur schnell noch um das Kind. Der Esel ist auch schon bereit. Aber bitte beeil dich! Wir dürfen keine Zeit verlieren!“
So zogen sie los. Mitten in der Nacht. Und als die Soldaten am nächsten Tag nach Bethlehem kamen, war das Kind längst in Sicherheit. Im Vertrauen darauf, dass Gott sie nicht im Stich lassen würde, lebten sie in Ägypten. So lange, bis der Engel Josef erneut erschien und ihn aufforderte, zurück nach Israel zu gehen, weil die Gefahr nun vorüber sei. So kamen sie wieder nach Nazareth, der Stadt, in der sie früher gelebt hatten. Hier wuchs Jesus auf. Er wurde ein Baumeister, wie sein Vater. Bis er sich eines Tages auf den Weg machte, um Kranke zu heilen, Verzweifelten Mut zuzusprechen, Trauernde zu trösten, den Armen den Reichtum des Himmels zu schenken – und eine verlorene Welt zu erlösen.

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